Die Flüchtlingskrise 2015 hat den Ton in Österreich rauer werden lassen. Die UNHCR-Mitarbeiterin Ruth Schöffl sieht ein kompliziertes Asylsystem, viel Engagment und schwierige politische Entscheidungen.
In Österreich herrscht weder Bürgerkrieg noch leben wir in einer Krise. Hat der UNHCR in Österreich überhaupt etwas zu tun?
Ruth Schöffl: Wir haben mehr als genug zu tun. Aber ja, man kennt die UNHCR mehr aus der humanitären Hilfe, wo wir in Ländern –wie in Syrien, Jordanien oder Libanon- Zelte aufstellen oder Menschen, die vertrieben worden sind, mit dem Notwendigsten versorgen. In Österreich haben wir eine komplett andere Aufgabe und sind nicht klassisch humanitär tätig. Wir betreiben keine Flüchtlingsunterkünfte, eröffnen keine Schulen und teilen kein Gewand oder Nahrungsmittel aus. In Österreich beschäftigt sich der UNHCR mehr mit dem rechtlichen Kontext.
Was heißt das genau – ist Österreichs Asylrecht so verworren?
In Österreich gibt es ein sehr kompliziertes Asylverfahren. Darum begutachten unsere ExpertInnen die Gesetzesnovellen und prüfen ob der Schutz der Flüchtlinge eingehalten wird oder sich die Regelungen negativ auswirken. Wir arbeiten eng mit den Behörden zusammen, was die Qualität der Asylverfahren betrifft. Hier gibt es in Österreich viel zu tun, zum Beispiel beim Dolmetschen.
Warum die Rolle der DolmetscherInnen im Asylverfahren so wichtig?
Weil die AsylwerberInnen meist nicht Deutsch kann und der Referent beim Asylverfahren oder der Polizist bei der Erstbefragung nicht alle Sprachen sprechen. Der Dolmetscher hat die Rolle der Sprachvermittlung. Wenn er nicht gut ausgebildet ist, das Asylverfahren nicht kennt oder keine Dolmetsch Kenntnisse hat, kann das für die AsylwerberInnen schlecht ausgehen. Wenn einmal schlecht oder falsch gedolmetscht wird, kann das im nächsten Schritt gegen den Asylwerbenden verwendet werden. Darum haben wir einen Lehrgang für DolmetscherInnen entwickelt, der von den VHS getragen wird und versucht die Qualität der Dolmetschungen zu heben.
In Österreich befinden sich derzeit mehr als 27.000 Kinder und Jugendliche in der Grundversorgung. Elf Prozent der in Österreich registrierten Asylanträge stammen von Kindern und Jugendlichen, die Österreich ohne ihre Familien erreichten. Wie reagiert das UNHCR auf diese Entwicklung?
Kinder und Jugendliche tun sich wahnsinnig schwer die Regelungen und Verfahren in Österreich zu verstehen. Darum haben wir gemeinsam mit jungen Asylsuchenden Informationen und Broschüren erarbeitet. Die Kinder und Jugendlichen sollen leichter verstehen können, was mit ihnen passiert, welche Rechte sie haben oder wie ein Verfahren abläuft. Auf der anderen Seite haben wir ein Handbuch für LehrerInnen erarbeitet, wie sie mit traumatisierten Kindern in ihrer Klasse umgehen können.
Sind die LehrerInnen auf diese Kinder und Jugendlichen vorbereitet?
Für LehrerInnen ist es gar nicht so einfach auf die Ängste und Traumata von Kindern zu reagieren, die frisch aus einem Kriegsgebiet kommen. Wir versuchen sie über Unterrichtsmaterialien zu erreichen. Wir liefern aber nicht nur Fakten, weil es ja auch die Kinder interessieren sollte. Für Kinder ist es spannender zu erfahren, wie es Flüchtlingskindern geht oder wie es in deren Heimat aussieht. Gleichzeitig bekommen die LehrerInnen Hintergrundinformationen. Wir haben das Gefühl, dass man gerade bei jungen Menschen viel erreichen kann, wenn Verständnis und Wissen über Daten und Fakten vorhanden sind.
Braucht es die? Es wird ja bereits viel über das Thema Flucht und Asyl debattiert.
Ja, es wird viel darüber geredet, aber wenn man in die österreichische Diskussion hineinschaut bemerkt man: selbst wenn das Thema Flucht und Flüchtling immer am Tisch liegt, es wird viel vermischt. Ich sage nur den furchtbaren Terminus „Wirtschaftsflüchtling“. Er ist von der Konnotation ein Blödsinn, weil ein Flüchtling ist per Definition jemand, der nicht aus wirtschaftlichen Gründen weggeht, sondern weil er vertrieben wird.
Wie hilft das UNHCR den Flüchtenden beim Ankommen und der Integration in Österreich?
Wir bieten jetzt keine Deutschkurse oder klassischen Integrationskurse an. Aber wir gehen den Weg der Umwegrentabilität, d.h. wir bieten den LehrerInnen Informationen damit sie die Flüchtlingskinder in ihrer Klasse besser betreuen können. Seit ein paar Jahren gehen wir auch in AsylwerberInnen-Unterkünfte hinein.
AsylwerberInnen-Unterkünfte stehen oft in der Kritik. Was geschieht also wenn das UNHCR dort hinkommt?
Wir gehen in diese Unterkünfte rein, schauen uns an wie es den AsylwerberInnen geht und reden in ganz vielen unterschiedlichen Unterkünften mit den AsylwerberInnen. Dann versuchen wir Standards zu entwickeln, die wir den Behörden vorschlagen. Damit soll der erste Eindruck und die erste Aufnahme für die Leute besser werden.
2015 gab es in Österreich eine Quartiernot für AsylwerberInnen. Besonders drastisch war die Situation im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, mit überfüllten Zimmern, Kinder die im freien schlafen mussten…
Wir waren damals zwei bis drei Mal in der Woche in Traiskirchen und haben mit den Personen geredet. Wir haben versucht die Einzelfälle, die uns besonders schlimm vorgekommen sind, sofort mit den Behörden zu besprechen und Einzelfallarbeit zu machen – auch wenn das nicht so ganz klassisch unsere Arbeit ist. So haben wir versucht das Problem in den Griff zu bekommen.
Wird in Österreich genug für die Integration der Flüchtlinge gemacht?
Österreich hat eine lange Tradition in der Aufnahme von Flüchtlingen und viele tätige AkteurInnen. Die staatlichen Stellen leisten eine gute Arbeit, aber es gibt Punkte, wo man mehr machen könnte. Im Moment machen uns einige neue rechtliche Regelungen Sorgen, die für eine Integration der Menschen definitiv nicht förderlich sind. Ich sage nur Mindestsicherung. Dabei könnten zukünftig Menschen mit Schutzstatus unter die Armutsgrenze fallen. Wir wissen leider aus Erfahrung, dass sich Menschen in Armut schwer tun, egal ob sie Flüchtlinge sind oder österreichische Staatsbürger. Weil sie mit dem Überleben zu tun haben und nicht noch eine Ausbildung machen können, wenn sie nicht wissen was sie morgen essen sollen.
Ist die in Österreich eingeführte Asyl-Obergrenze von 2016 37.500 und 2017 35.000 Asylanträgen integrationsfördernd?
Wir stehen dem ganzen recht kritisch gegenüber. Wenn diese Regelung in Kraft trifft, wird das Thema Integration gar nicht mehr spruchreif.
Warum?
Weil es den Menschen verunmöglicht wird in Österreich einen Asylantrag zu stellen. Das heißt sie werden nur ganz kurz in Österreich oder im schlimmsten Fall in Schubhaft sein. Die Obergrenze ist eher ein Abweisen der Asylsuchenden, bei dem das Ankommen und die ersten Schritte gar nicht stattfinden. Aus unserer Sicht ist es gleichzeitig ein fatales Zeichen an andere Staaten, dem Beispiel Österreichs zu folgen und Grenzen, Zäune oder Mauern zu bauen.
Haben Sie Verständnis für die politische Reaktion?
Natürlich verstehen wir die Staaten auch, dass einige wenige Staaten sehr viele Flüchtlinge aufnehmen und einige Staaten sehr wenig Verantwortung übernehmen. Aber das ist für den einzelnen Flüchtling nicht sehr hilfreich, weil der trotzdem vor einer verschlossenen Grenze steht
Gibt es eine Alternative zur Obergrenze?
Selbst wenn wieder tausende Asylsuchende nach Österreich kommen, gibt es andere Möglichkeiten als eine Obergrenze. Aus unserer Sicht gibt es Maßnahmen, die für die Schutzsuchenden nicht die drastische Konsequenz hätten von einem Land in das nächste zurückgeschoben zu werden. Eine Alternative wäre die Relocation. Die gibt es derzeit nur aus Italien und Griechenland. Von dort werden die Flüchtlinge per Quote auf andere EU-Länder verteilt. Manche Staaten sperren sich dagegen. Da sieht man schon, dass es aktuell wenig Solidarität beim Flüchtlingsthema innerhalb der EU gibt.
Was ist Integration? Wie sollte das Ankommen in einem Land ablaufen?
Es gibt keine klassische Definition für alle Länder. Dafür sind sie viel zu unterschiedlich. Aber was uns für das Selbstverständnis von Integration wichtig ist, ist das Integration ein wechselseitiger Prozess ist. Er betrifft die Asylsuchenden, wie auch die Aufnahmegesellschaft. Es liegt also nicht nur an einer Seite.
Sehen Sie in Österreich so eine Wechselseitigkeit gegeben?
Ja und Nein. 2015 haben sich tausende Menschen engagiert und Initiativen gegründet. Sie sind bis heute sehr aktiv und funktionieren von Mensch zu Mensch. Von Kirche bis zum Musikverein. Oder Oma, Hausfrau und Student. Auf institutionalisierter Seite ist das Bild gemischt: Es gibt viel Know How und Initiativen, gleichzeitig kann es bei der Integration nie genug Programme geben.
Gibt es negative Entwicklungen? Gelingt Integration überall?
Was uns Sorgen macht ist der rauer werdende Ton in der Gesellschaft. Dazu kommt, dass das Thema Flucht so ungemein präsent ist. Dadurch sind die Menschen sorgenvoller geworden. Sie beschäftigen sich mehr mit dem Thema, obwohl sie in ihrer Nähe vielleicht gar keine Flüchtlinge haben. Dadurch ist das Thema so emotionalisiert. Und da jedeR eine Meinung dazu bekommen hat, ist es für gewissen Gruppen einfacher geworden Flüchtlinge in Misskredit zu bringen, Gerüchte zu verbreiten oder politisches Kapital daraus zuschlagen.
Zur Person: Ruth Schöffl ist für die Öffentlichkeitsarbeit beim Wiener UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) verantwortlich.